Die Derivation (= die Ableitung)

Die Derivation wird auch Ableitung genannt. Das Ergebnis einer Derivation ist ein Derivat.

Im Unterschied zur Komposition, bei der mehrere lexikalische Morpheme zu einer neuen Einheit kombiniert werden, entstehen bei der Derivation neue Wörter durch Hinzutreten eines Affixes.

 

Affixe sind Einheiten, die (meist) nicht wortfähig sind, sondern zusammen mit einer Ableitungsbasis (die selbst eine lexikalische Bedeutung hat), neue Wörter bilden.

 

Je nach der Position des Affixes kann man unterscheiden zwischen solchen, die vor der Basis stehen (Präfixe), und solchen, die an sie angehängt werden (Suffixe).

 

- Präfixe, z.B. Un-tat, miss-verständlich, be-raten (Adv. kommen hier nicht in Betracht)

- Suffixe, z.B. Rett-ung, greif-bar, schäd-ig-(en), abend-s.

 

Weniger häufig sind die sog. Zirkumfixe (die Zirkumfigierung wird auch kombinatorische Derivation genannt). Dabei treten ein Präfix und ein Suffix gleich-zeitig an einen Stamm:

 

Suffigierung

 

Suffigierung nennt man das Anhängen von Suffixen ("Endungen") an Wortstämme. Viele Suffixe legen die Wortart (bei Substantiven auch das Genus) fest. Eine Übersicht mit Beispielen soll folgende Liste geben:

a) Nominalsuffixe: -heit, -keit, -tät, -ung (Lässigkeit, die; Rivalität, die)

b) Adjektivsuffixe: -bar, -lich, -sam (erlebbar, lieblich, schweigsam)

c) Verbsuffixe: -el-, -ier- (köcheln, ratifizieren). Hingegen ist -en kein Ableitungssufix bei Verben, da es das Flexionssuffix des Infinitivs ist.

Die Liste zeigt, dass Ableitungen auf -bar oder -sam immer Adjektive und solche auf -heit, -keit und -tät immer feminine Substantive ergeben. Ihr feminines Genus rührt von der Tatsache, dass man im Deutschen geneigt war und ist, Abstrakta als feminin aufzufassen. Einige Suffixe verbinden sich nur mit Grundmorphemen, die bestimmte Eigenschaften aufweisen. Das Suffix -ung beispielsweise bindet sich fast nur an Verbstämme (Les-ung zu lesen, Muster-ung zu mustern, Betracht-ung zu betrachten). Das Verb zu Zeitung existiert heute nicht mehr.

 

Präfigierung

 

be-, er-, miss-, un-, ver- und zer- und etliche entlehnte Präfixe wie a- (areligiös)

Jedoch bereiten die Fälle Probleme, in denen bestimmte Präpositionen präfigiert werden, die als Partikel selbstständig als Wort vorkommen und dann eine lexikalische Bedeutung besitzen:

 

vorbei-gehen, hinunter-reichen, um-'fahren (in der Bedeutung von um-herum)

Deswegen rechnen manche Linguisten letzte Präfigierungen zu den Kompositionen, zumindest nicht zu den Derivationen.

 

Bei den Verben unterscheidet man zwischen drei Präfigierungsarten:

 

Präfixverb: be-'fahren, ent-'gehen, ver-'laufen. Stammbetont, d. h. Akzent liegt auf Verbstamm

Partikelpräfixverb: um-'fahren, um-'laufen. Noch stammbetont, d. h. Akzent liegt auf Verbstamm

Partikelverb: 'um-fahren, 'um-laufen. Partikelbetont, d. h. Betonung liegt auf der dem Verbstamm vorhergehenden Silbe. Der Partikel ändert die Bedeutung des Grundmorphems komplett: 'um-fahren bedeutet eben nicht um etwas herum fahren, sondern genau sein Gegenteil über etwas drüber fahren,

 

Zirkumfigierung

 

Bei der Zirkumfigierung wird ein Grundmorphem sowohl am Anfang wie am Ende durch ein Affix erweitert. Da diese beiden Affixe stets zusammen auftreten, nennt man sie mit einem Ausdruck Zirkumfixe. Die Zirkumfigierung ist ein dem Deutschen sehr eigentümliches Phänomen, was die Wortbildung (nicht jedoch was die Flexion!) anbetrifft. Die neu entstandenen Formen nennt man Parasynthetika. Beispiele und Typen von Zirkumfigierungen sind:

 

Typ V → N: Ge-hup-e, Ge-zerr-e: Vst → Ge+Vst+e

Typ N → Adj/Pseudopartizip: be-brill-t, be-reif-t: N → be+N-en+t

(mit Vst = Verbstamm, V = Verb, N = Nomen)

 

Quelle: Patocka, Franz: Wortbildungslehre des Deutschen. (Wien 2015).