Renaissance - Humanismus - Reformation

Die Renaissance

 

Im 15. und 16. Jh. kam es zu einer weitgehenden Säkularisierung des Lebens. Dies meint eine Verweltlichung, die den Geist des MAs allmählich in Frage stellt. Die Autonomie des Menschen wurde zum Leitbild der Epoche; der Mensch empfand sich nicht mehr als ein an überindividuelle Mächte gebundenes Geschöpf, sondern selbst als Schöpfer. Weitgehend ersetzte er dabei den ma. Jenseitsstandpunkt durch einen Diesseitsstandpunkt. Er sah es nun als seine Hauptaufgabe an, in der irdischen Welt sein Leben zu reicher Entfaltung zu bringen. 

 

Der Grund für diesen allgemeinen Wandel lag vor allen in gravierenden ökonomischen Veränderungen dieser Zeit. Aufgrund der neuartigen Geldwirtschaft, die sich von Italien aus über Deutschland und Frankreich ausbreitete, erlebten die Städte einen gewaltigen Aufstieg. 

 

Der wirtschaftliche Erfolg des städtischen Bürgertums nahm den Feudalherren und damit auch dem Kaiser- und Papsttum allmählich ihre absolute Macht. Es bildete sich ein einflussreiches städtisches Patriziat, und auch die Vertreter des Handwerks gewannen immer mehr an Bedeutung. Damit wurden Wissen, Weltoffenheit, individueller Einsatz und rationale Lebensplanung allgemein zu neuen Idealen. Die Selbstdisziplin im Dienste von Arbeit und Profit wurde zu einem entscheidenden Faktor im bürgerlichen Erziehungssystem der Neuzeit, das sich gesellschaftlich mehr und mehr durchsetzte. 

 

Die Überwindung des Ptolemäischen Systems - wonach die Erde den Mittelpunkt des Kosmos bildet - durch Nikolaus Kopernikus und Galileo Galilei vermittelte ebenfalls ein neues Lebensgefühl. Die Entdeckung Amerikas auf dem Westweg nach Indien, ausgelöst durch den Vorstoß der Osmanen, welche die Verbindung zu den traditionellen Gewürzländern versperrten, lockte viele Europäer zu Entdeckungsfahrten, vor allem die Konquistadoren, die spanischen Eroberer Mittel- und Südamerikas. Auch der Import von Edelmetallen aus dem neuen Kontinent trug der zunehmenden Umordnung des Geldwesens, zum Großhandel und zur Kapitalbildung bei. 

 

Der selbstbewusste Mensch des 16. Jh.s. suchte einen Bundesgenossen für seine neue Lebensauffassung, und den entdeckte er im Altertum, vor allem in der römischen Antike. In der antiken Literatur fand er Menschen, die im Diesseits lebten und der eigenen Stärke vertrauten. Die Altertumsbegeisterung führte zum Studium der griechischen und römischen Schriftsteller. Die Antike wurde zum Vorbild der eigenen Lebensführung. Von dieser Wiedergeburt der Antike leitet sich auch die Stilbezeichung "Renaissance" ab (franz. renaissance, ital. rinascimento 'Wiedergeburt').  Im engeren Sinn umschreibt der Ausdruck die bildende Kunst dieser Zeit, deren Schöpfer die antiken Kunstwerke nachzuahmen versuchten. 

 

Die Vielfalt der italienischen Stadtstaaten war bezeichnend für das politische Bild der Renaissance. Besonders eindrucksvoll wirkte das von der Familie der Medici beherrschte Florenz weiter, wo Handel und Kultur in ungekanntem Ausmaß aufblühten. Auch die deutschen Städte wurden mächtige Wirtschaftszentren (z.B. die norddeutschen Hansestädte oder Augsburg, wo die Familie Fugger sogar die Kaiserwahl Karls V. finanzieren konnte). 

 

Anders als im Mittelalter fasste man den Staat jetzt als von Menschen geschaffenes und beeinflussbares Lebensgefüge auf. Moderne Verwaltungsformen wurden ausgebildet, wobei die zunehmende Bedeutung der Berufsbeamten die Stellung des Adels schwächte. Theorien der Staatskunst entstanden, die im Zeichen der Staatsräson Moral und Politik voneinander trennen." (Mittermayer)

 

Der Humanismus

 

"In geistiger Hinsicht wurde zu dieser Zeit das geistliche Bildungsmonopol durch den sogenannten Humanismus (lat. humanitas 'Bildung') abgelöst. Die Humaniora, die Wissenschaften, die sich vor allem mit menschlichen Belangen beschäftigten, rückten in den Mittelpunkt. Die praktisch orientierte Ratio und damit in der Folge auch die Naturwissenschaften gewannen immer mehr an Bedeutung. Der Humanist strebte nicht so sehr danach, sich aufs Jenseits vorzubereiten, sondern sich für die irdische Welt in der bestmöglichen Weise auszubilden. 

 

Der Humanismus beschäftigte sich wissenschaftlich mit der Antike, d.h. mit der lateinischen und griechischen Literatur. In diesem Zusammenhang war der Fall Konstantinopels (= Byzanz) unter türkischer Herrschaft (1453), der das Ende des oströmischen Reichs bedeutete, von besonderer Bedeutung, denn die Flucht der byzantinischen Gelehrten nach Italien stellte den Kontakt mit der klassischen Antike auf direkte Weise her. 

 

Wie in Italien bildeten die Humanisten auch in Deutschland eine dünne gebildete Oberschicht in den Städten und an den einzelnen Fürsten- und Bischofshöfen. Das erste Zentrum des Humanismus war Mitte des 14. Jh.s der Hof zu Prag; aus diesem Kreis stammt auch der Ackermann aus Böhmen. Ein Jahrhundert später bildete sich auch am Wiener Hof ein Humanistenkreis, ebenso wie in Heidelberg, Nürnberg und Augsburg sowie Wittenberg. Ihre Dichtungen schrieben die Humanisten zumeist in lateinischer Sprache, wodurch es zu einer Aufspaltung in eine lateinische Bildungsdichtung, die sich nur an einen kleinen Kreis Eingeweihter wandte, und ein deutschsprachige Volksdichtung kam." (Mittermayer)

 

Exkurs zum Hofe zu Prag und die Burdach'sche These zur Entstehung der Schrift des Neuhochdeutschen: 

 

JOHANN VON NEUMARKT AM HOFE ZU PRAG

 

Johann von Neumarkt war Frühhumanist und ist 1315 oder 1320 in Neumarkt in Schlesien geboren. Er war Sohn einer Familie, die großbürgerlich und wohlhabend war. Was Johannes Jugend und Ausbildung betrifft ist nichts Konkretes bekannt. Auch über seine Schulzeit ist nicht viel in Erfahrung zu bringen. Bis zu seinem Tode beschäftigte sich Kanzlist Kaiser Karls IV jedenfalls mit Schriftstellern der Antike. Es ist nicht ganz klar, in welcher Art und Weise er von der Familie von Pannwitz unterstützt wurde, jedoch kann konstatiert werden, dass sich Johann in Glatz, der Landeshauptstadt Böhmens, niedergelassen hat. Jedoch hält Klapper Folgendes zur Ausbildung Johanns fest:

 

„Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß wie Arnestus auch der etwa zehn Jahre jüngere Johann von Altamutha die gleiche Schule der Malteser in Glatz besucht hat. Hier hat er seine Grundausbildung in den Fächern des Triviums und wohl auch des Quadriviums erhalten. Es ist anzunehmen, daß er in Prag noch eine weitere Ausbildung erfuhr, die dem Anwärter für eine kirchliche Laufbahn Rechtskenntnisse vermittelte.“ (Klapper)

 

Klapper meint hier, dass Johann von Altamutha, wie er Johann von Neumarkt hier nennt, die Septem Artes Liberales in Glatz erlernt hätte. Die von Klapper Identitätsbestimmung jedoch ist, laut Rieckenberg, nicht festzumachen:

 

„Die von Klapper u.a. behauptete Identität des „Johannes von Altamuta plebanus Noviforensis“ (1344) mit dem „Johannes de Novoforo, retocor parrrochialis ecclesie de Novoforo“ (1351) ist nicht haltbar. J. ist wohl der Nachfolger des Johann von Hohenmauth als Pfarrer und Inhaber der Pfründe Neumarkt  gewesen. Beide standen in Diensten der Luxemburger.“ (Klapper)

 

Klapper schreibt in seinem Artikel über Johann von Neumarkt des Weiteren, dass die zeitliche Festlegung Klappers von 1340  über die Arbeit des Frühhumanisten im Herzogtum Münsterberg nicht klar belegbar ist.

Über den beruflichen Werdegang des Johann von Neumarkt lässt sich jedoch noch mehr belegen, als dass er lediglich Schreiber in der Kanzlei Breslaus bzw. Landschreiber unter Herzog Nikolaus von Münsterberg gewesen ist. Es wurde vorher schon erwähnt, dass Johann Rechtskenntnisse vermittelt wurden, jedoch wurde er auch im Finanzwesen unterrichtet:

 

„So gut vorbereitet trat er in die Dienste Karls IV., zunächst als Notar (seit 1347 nachweisbar), Hofkaplan, Sekretarius (1351 auch Kanzler der Königin). Seit 1352 war er als Protonotar (oberster Schreiber) und seit Ende 1353 bis 1374 (mit einer Unterbrechung 1364/65 tätig. Sein Ausscheiden erfolgte nicht ohne Mißklang, jedoch führte er weiter den Titel Kanzler.“ (Klapper)

 

Johannes von Neumarkt war also in den Diensten Kaiser Karls IV, aus welchen er, nachdem er Kanzler wurde, 1374 ausschied. Er war aber nicht nur am Hofe des Kaisers tätig, sondern war auch Geistlicher:

 

„Das Amt eines Bischofs von Naumburg (1352) trat er nicht an. Am 9.10.1353 wurde er 2. Bischof des von Kaiser Karl IV. gestifteten Bistums Leitomischl und 1364 Bischof von Olmütz. 1380 wurde er zum Bischof seiner Heimatdiözese Breslau gewählt, aber ehe die päpstliche Bestätigung eintraf, starb er.“ (Klapper)

 

Bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 1374 verweilte Johann von Neumarkt seine Zeit meistens bei Kaiser Karl IV, da er ihn als Kanzleileiter auf Karls Reisen nach Italien, welche in den Jahren 1354/55 und 1368/69 stattfanden, begleiten musste. „Dabei lernte er u. a. Rienzo und vor allem Petrarca kennen, mit dem er wiederholt Briefe wechselte.“ Jedoch lässt sich nicht beweisen, ob von Neumarkt Einfluss auf die politischen Entscheidungen Karls IV. hatte, denn es lässt keine Reise belegen, die er etwa zu den Reichsfürsten oder zu anderen Fürsten gemacht hätte. Anders verhält es sich mit dem Einfluss, den er als Kanzlist auf die Sprache der Kanzleien im deutschsprachigen Raum hatte:

 

„Auf ihn geht ihre Reform nach der Kaiserkrönung Karls 1355 zurück. Petrarca rühmt J.s ordnende Tätigkeit für das Register, das noch in Teilen erhalten ist. Durch die Sammlung von Urkunden- und Briefentwürfen in der „Summa cancellarii“ schuf er ein Musterformelbuch für die Beamten der Kanzlei und wirkte reformierend auf den Schriftverkehr der Kanzlei. Da diese Sammlung wegen ihrer vorbildlichen Sprache weit verbreitet wurde und somit die darin enthaltenen Formulare oft nachgeahmt wurden, bildete sich daran ein einheitlicher, vom Frühhumanismus beeinflußter Stil in den fürstlichen und städtischen Kanzleien und den Notariaten heraus. Die deutschen Formulare trugen dazu bei, die neuhochdeutsche Sprache vorzubereiten.“ (Klapper)

 

Johanns Arbeit wirkte sich aber nicht nur auf die Kanzleisprachen aus, sondern auch auf die Literatur, denn er übersetzte und verfasste auch Gebete und Erbauungsliteratur:

 

„Nach der Rückkehr aus Italien 1355 übertrug er für Karl ins Deutsche den pseudoaugustinischen „Liber soliloquiorum animae ad deum“, „Das Buch der Liebkosungen“, ein Selbstgespräch der sündigen Seele mit Gott. Er schenkte dem Kaiser eine von ihm bearbeitete lat. Fassung der Vita des hl. Hieroynmus. Während seiner Olmützer Zeit übersetzte er diese Vita frei ins Deutsche und widmete sie der Mfgn. Elisabeth von Mähren. Für diese und en Prager Hof stellte er während der gleichen Zeit Gebete zum Privatgebrauch, also kein Brevier, sondern ein Gebetbuch für Laien zusammen in der Art der „Livres d’heures“.“ (Klapper)

 

Der Bischof von Olmütz verfasste aber nicht nur ein Stundenbuch, sondern auch ein Brevier für Reisen, das er um etwa 1365 vollendet hat. Sein Brevier für die bischöflichen Tätigkeiten widmete er Johann von Mähren, während er, wie das obige Zitat zeigt, der Johanns Gemahlin, Markgräfin Elisabeth von Mähren, sein Stundenbuch widmete.

Der Frühhumanist verstarb am 24.12.1380. Es wird vermutet, dass er auf den Bischofsgütern von Olmütz gestorben ist; sicher hingegen ist, dass er im Eremitenkloster von Leitomischl begraben ist.

 

Johann von Neumarkt hatte zusammengefasst großen Einfluss auf die deutsche Kanzleisprache; zudem wurde eine Zeit lang, wie das folgende Unterkapitel zeigen soll, angenommen, dass er maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache hatte. Was aber auf alle Fälle konstatiert werden kann, ist, dass er viele lateinische Texte übersetzt hat und selbst Gebete verfasst hat. 

 

BURDACH’SCHE PRAGTHESE

 

In seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1884 versucht sich Konrad BURDACH an einem anderen Modell zur Erklärung der Entstehung der neuhochdeutschen Schreibsprache, die in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts in Prag entstanden sein soll, denn dort habe es Versammlung von Gelehrten am Hofe Kaiser KARLs IV. gegeben. Im Zuge dieser Versammlungen sind PETRARCA und COLA DI RIENZO, italienische Humanisten, nach Prag gekommen. Diese Elite habe die kaiserliche Kanzleisprache beeinflusst. Selbst der Kanzler, Johann VON NEUMARKT, gehörte ihr an, „und er dürfte wohl seine Schreiber und sonstigen Mitarbeiter nach Kriterien humanistischer Bildung ausgewählt oder sie sonst in dieser Richtung gefordert und gefördert haben.“ Durch diesen Diskurs sei die deutsche Sprache geprägt worden. Das BURDACH’sche Modell bezieht sich nämlich nicht nur auf phonologische Ebene. Er betrachtet die gesamte Geschichte in Bezug auf Kultur und Geisteswissenschaft:

 

„Die gemeinsprachliche Bewegung […] muß bedingt und geleitet gewesen sein von der Entwicklung der geistigen Kultur. Jedes Vorschreiten einer sprachlichen Wandlung kann nur der Reflex sein eines bestimmten Bildungsübergewichts. […]

 Nicht nur von der Lautlehre aus läßt sich diese schwierigste aller sprachgeschichtlichen Fragen lösen. […] Die neuhochdeutsche Schriftsprache […] läßt sich, gleich jeder lebendigen Sprache, niemals […] ihrer Entstehung fassen, wenn man lediglich ihre Atome – die Laute – unter das Mikroskop nimmt. In der Totalität ihre realen Daseins, nicht aus den Abstraktionen lautlicher Prozesse, wird man ihr abhören und absehen, wo und als wessen Kind sie geboren ist und welcher Geist sie nährte.“ (Bär)

 

Die BURDACH’sche Theorie widmet sich aber keineswegs nur der Entwicklung und Entstehung der neuhochdeutschen Schreibsprache. BURDACH geht auch auf die Geschichte und ihre Entwicklung insofern ein, als er sagt, dass „in dem Jahrhundert 1350-1450 auf dem Boden des östlichen Mitteldeutschland im Kreise der berufsmäßig Schreibenden die Kunstpflanze, der man den Namen neuhochdeutsche Gemeinsprache geben muss [Unterstreichung im Original kursiv] “ aufgezogen worden wäre. Diese Sprache, die „durch Aufnehmen mitteldeutscher Elemente zu einer Mittelstellung zwischen Norden und Süden geeignet war “ ging nicht nur von der kaiserlichen Kanzlei aus sondern ging auch in den Schreibusus der fürstlichen Kanzleien über:

 

„Neben dieser Reichssprache der kaiserlichen Kanzlei hatten bald die mitteldeutschen Kanzleien – die östlich zuerst – sich zu richten angefangen, und gegen Ende des 15. Jahrhunderts enstand so allmählich ein ‚gemeines Deutsch‘ […] eine festere Grundlage.“ (Bär)

 

Diese Kanzleisprache fand in der Bevölkerung keinen Anklang, sie wurde jedoch im Handel, in der Verwaltung und im Recht eingesetzt:

 

„Man könnte diese Gemeinsprache ganz gut eine Staatssprache heißen: sie galt jedenfalls zunächst und viel mehr im öffentlichen Verkehr des Staates und der Privatleute mit diesem, es war eine Sprache der Beamten und des Geschäfts, aber keine des Hauses, der Familie, des geselligen Umgangs.“ (Bär)

 

Dass diese Kanzleisprache und die in Handel, Verwaltung und Justiz übernommene Sprache auch Anwendung in der Sprache fand, vollzog sich erst in späterer Zeit.

 

BURDACH setzt in seiner Habilitationsschrift eben nicht beim Althochdeutschen an, für ihn ist die Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache kein Kontinuum. Die neuhochdeutsche Schreibsprache ist für ihn „eine neue Schöpfung, unter einmaligen kulturellen Bedingungen entstanden.“

 

Die Schriftsprache ist für ihn, durch Humanisten beeinflusst, im 14. und 15. Jahrhundert unter der Prager Kanzlei entstanden. Zuerst wurde sie im Handel, in der Verwaltung und bei Gericht eingesetzt; erst später fand sie Einzug in das Geistesleben und in die Kultur.

 

„Burdachs Ansatz kann heute zutreffender gewürdigt werden, als dies […] in den 30er Jahren gesehen ist. Er hat sicher richtig erkannt, daß eine Kultursprache nicht ohne weiteres aus einer Mundart hervorgehen kann. […] Richtig ist auch […], daß sich in der Kanzlei Karls IV. ein beachtlicher schreibsprachlicher Ausgleich vollzog, der schon in einer Reihe von Fällen auf die nhd. Schriftsprache hin tendiert.“ (Bär)

 

Wenngleich dieser Punkt von BESCH als richtig erscheint, ist auch an diversen Stellen seiner These, Kritik zu üben: Erstens wird heute die Meinung vertreten, dass die Entstehung der neuhochdeutschen Schreibsprache nicht schon im 14. und 15. Jahrhundert entstand: „Das Prager Mischungsergebnis bleibt […] ein Vorspiel im Blick auf die schriftsprachliche Einigung knapp zweihundert Jahre später .“

 

Zweitens wird Zweifel daran geht, ob aus einer Kanzleisprache eine Kultursprache hervorgehen kann, denn bei BURDACHs Überlegungen fehle der Bereich der Semantik:

 

„Eine Kanzleisprache ist immer eine Fachsprache, und das gerade in den Bereichen von Syntax, Stil und Semantik. Sie ist damit immer beschränkt, und unmöglich lässt sich also ein schriftsprachlicher Ausgleich allein in der Schreibstube vollziehen und dann erst auf alle anderen Lebensbereiche übertragen. Schließlich lässt es sich beispielsweise nicht leugnen, dass es auch vom 14. bis zum 17. Jahrhundert alle möglichen Arten von Literatur gegeben hat. Da aber nach Burdach die „Gemeinsprache“ zu dieser Zeit noch ausschließlich in den Kanzleien geschrieben wurde, gab es zwar Literatursprachen, aber höchstens regionale. Später müssten dann diese Literatursprachen verschwunden sein, und alle Literaten müssten eine einheitliche Sprache angenommen haben, die aber ihrem Wesen und ihrer Herkunft nach alles andere war als eine Literatursprache.“ Bär)

 

 

Wenngleich BURDACHs Theorie einige Leerstellen aufweist, so muss dennoch konstatiert werden, dass dies ein wichtiger Beitrag zur Entstehung der neuhochdeutschen Schreibsprache war.

 

Die Reformation

 

"Mit seinem Rückgriff auf die lateinischen und griechischen Urtexte der Bibel als Glaubensquelle war der Humanismus aber auch am Entstehen der Reformationsbewegung beteiligt. 

 

Die Reformation richtete sich gegen die Alleinherrschaft, die weltliche Machtausübung und den Dogmatismus der katholischen Kirche. In den Auseinandersetzungen schlug sich aber auch der bekannte Konflikt zwischen Kaiser und Kirche einerseits und den Landesfürsten andererseits nieder. Den Anlass zum Auftritt des Reformators Martin Luther (1483 - 1546) bildete der so genannte Ablasshandel zum Zweck des Baues der Peterskirche in Rom: Für Geld konnte man sich dabei einen Nachlass der zeitlich begrenzten Strafen für bereits begangene, nicht aber für zukünftige Sünden erkaufen. Luther forderte eine von Rom unabhängige Landeskirche und die Einziehung der Kirchengüter zu Gunsten der Landesfürsten. Schließlich führte die Reformation zu einer Spaltung des christlichen Abendlandes in ein katholisches und in ein protestantisches Lager sowie zu schweren Religionskriegen, deren Folgewirkungen Jahrhunderte lang dauern sollten. 

 

Luthers Übertragung der Bibel in die Volkssprache machte ihn aber auch zur literarisch bedeutsamsten Persönlichkeit dieser Epoche geistigen Umbruchs. Mit seiner Übersetzung des Neuen und des Alten Testaments (1522 und 1534), die sich an der sächsischen Kanzleisprache orientierte, begann sprachgeschichtlich die neuhochdeutsche Zeit. Wenngleich man an dieser Stelle anmerken muss, dass Luther nicht der Erfinder der neuhochdeutschen Sprache ist, vielmehr gilt er, folgt man Werner Besch, ein angesehener Linguist, als Katalysator der deutschen Sprache. Unterstützt wurde die Bibelübersetzung durch eine der wichtigsten Erfindungen der neuzeitlichen Geschichte: der Buchdruck mit beweglichen Lettern von Johannes Gensfleisch zu Gutenberg. Schon vorher hatte man die teure ma. Schreibweise auf Pergament durch das billigere Buch aus Papier ersetzt und die Schriftproduktion durch Schreibmanufakturen wesentlich erweitert. 

 

Im Zusammenhang mit der Reformation zeigte sich eine neue Funktion von Literatur. sie war nun nicht mehr wie bisher religiösen oder ständisch-feudalen Zwecken untergeordnet, sondern sie wurde zu einem Medium der geistigen und politischen Auseinandersetzung. Diese neue Funktionalisierung der Literatur wurde zum einen durch die Lutherische Bibelübersetzung ermöglicht, denn erst durch sie konnte die frühneuhochdeutsche Sprache zu einem geeigneten Mittel geistiger Konfrontation eingesetzt werden. Dazu kam aber auch ein neues literarisches Medium: die Flugschrift. Als Gebrauchsschrift und Kampfschrift in einem war sie vor allem geeignet, in kürze starken Einfluss auf große Bevölkerungsteile zu nehmen. 

 

Luthers religiöse Flugschriften (z.B. VON DER FREIHEIT EINES CHRISTENMENTSCHEN", 1520) wurden von den Unterdrückten seiner Zeit, vor allen von den Bauern, bald als Signal für politische Befreiungsaktionen verstanden. Luther unterschied jedoch deutlich zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft und ließ sich nicht für die Bauernkriege instrumentalisieren." (Mittermayer) 

 

Im ersten Drittel des 16. Jh.s. gibt es schätzungsweise 3000 Flugschriften und -blätter. Sie sind meist nur ein paar Seiten lang, manche haben gar nur eine Seite. Sie werden nicht gebunden, können also billig hergestellt werden. So sind sie immer am aktuellsten Stand. Meist erreicht ein Flugblatt eine Auflage von 1500 Stück. Meistens sind die Verfasser anonym. 

 

Es ist an dieser Stelle jedoch anzumerken, dass der Bauer als Leser und Disputant eher Fiktion als real ist, denn das Bauerntum kann zur damaligen Zeit noch nicht lesen. Richtig ist jedoch, dass die Gelehrten, die die Flugschriften verfasst haben, den Anschein erwecken wollen, dass sie die Stimme des gemeinen Mannes veröffentlichen wollen. 

 

 

 

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Quelle: 

Jochen Bär, Thesen zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache. Ein Beitrag zur Geschichte der Sprachgeschichtswissenschaft. oV: Heidelberg 2004, online unter: www.baer-linguistik.de/beitraege/thesen.pdf. (12.12.2014). 

Joseph Klapper, Johanns Herkunft und Aufstieg. In: Erich Kleindamm et al. (Hgg.), Johann von Neumarkt. Bischof und Hofkanzler. Religiöse Frührenaissance in Böhmen zur Zeit Kaiser Karls IV. St. Benno: Leipzig 1964. 

Manfred Mittermayer et al., Die Renaissance. In: Diess. (Hgg.), Abriss der deutschsprachigen Literatur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Lehr- und Arbeitsbuch. 3. Überarbeitete Auflage. Braumüller: Wien 1992.

Manfred Mittermayer et al., Der Humanismus. In: Diess. (Hgg.), Abriss der deutschsprachigen Literatur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Lehr- und Arbeitsbuch. 3. Überarbeitete Auflage. Braumüller: Wien 1992.

Manfred Mittermayer et al., Die Reformation. In: Diess. (Hgg.), Abriss der deutschsprachigen Literatur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Lehr- und Arbeitsbuch. 3. Überarbeitete Auflage. Braumüller: Wien 1992.